Forschungsprojekt: Gewerkschaftliche Zeitpolitiken seit den 1970er Jahren

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Projektziel

Arbeitszeitpolitik ist eine der Kernaufgabe von Gewerkschaften. Seit den 1970er Jahren haben sich Wünsche an eine höhere Zeitsouveränität von Beschäftigten ebenso erhöht wie an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Gewerkschaftliche Zeitpolitiken reagieren und beeinflussten zugleich die Entwicklung von Zeiterwartungen. Wie gestaltete sich der Prozess von den 1970er bis Anfang der 2000er Jahre?

Veröffentlichungen

Jäger, Alexandra, 2022. Arbeitszeitfragen sind immer auch Gleichstellungsfragen. Gewerkschaftliche Debatten über Arbeitszeitpolitik aus Geschlechterperspektive von den 1970er bis zu den 2000er Jahren, In: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) (Hrsg.), "Zeitgeschichte in Hamburg 2021" - Die FZH-Jahresberichte, Hamburg, S. 101-121.

Projektbeschreibung

Kontext

Gesellschaftliche Zeitregime sind um Arbeitszeiten herum gruppiert. Seit den 1970er Jahren gerieten der achtstündige Arbeitstag sowie die klare Trennung von Arbeit und Freizeit in die Diskussion. Eine Ausdifferenzierung von Arbeitszeitpolitiken steht im Zusammenhang von Flexibilisierungserwartungen an allgemeine Zeitregime in der Gesellschaft. Aufhebung der Ladenöffnungszeiten, Zunahme von Projektarbeit und längere Betriebszeiten führten zu einem "Abschied vom Normalarbeitstag" (Edwin Schudlich) seit den 1980er Jahren. Gewerkschaftliche Zeitpolitiken mussten auf diese Entwicklungen reagieren und zugleich den Beschäftigten individuelle wie kollektive Selbstbestimmung über ihre Zeit ermöglichen. Die gewerkschaftlichen Zeitpolitiken beeinflussten diese Entwicklungen, mussten aber auch auf wandelnde Erwartungen verschiedener Akteure reagieren.

Fragestellung

Im Projekt werden Kontroversen und tarifpolitische Entscheidungen um Zeitpolitiken innerhalb der Gewerkschaften rekonstruiert und auf ihre gesellschaftspolitischen Implikationen befragt. Wandel und Kontinuitäten gewerkschaftlicher Zeitpolitiken können so offengelegt werden. Dieses erfolgt in dem Kontext neuerer zeitgeschichtlicher Forschung, die seit den 1970er Jahren eine veränderte Zeitwahrnehmung und -gestaltung hin zu einer „präsentistischen Gegenwart“ (Hans-Ulrich Gumbrecht) konstatiert. Zeitregime, verstanden als in der Gesellschaft vorherrschende Umgangs- und Aneignungsformen von temporalen Strukturen, sind in einem erheblichen Maße von Arbeitszeit geprägt und wirken auf die Ordnungsvorstellungen zum Beispiel bezüglich Geschlechterrollen, Arbeit, Freizeit oder Familie. Während das Projekt sich vorrangig auf gewerkschaftliche Zeitpolitiken bezieht, wird ein Partnerprojekt am SoFi in Göttingen die betriebliche Ebene durch Zweitauswertung von Intervies untersuchen.

Untersuchungsmethoden

Im Projekt sollen der DGB und drei Einzelgewerkschaften im Zentrum stehen. Dabei werden vor allem die jeweiligen Vorstandsabteilungen als Leitquellenbestände ausgewertet, auch hinsichtlich von Verbindungen und Netzwerken in Politik und Wissenschaft. Die umfangreiche sozialwissenschaftliche Literatur zum Thema wird auf ihre Beeinflussung des gewerkschaftlichen Diskurses befragt und daher auch als Quelle gelesen, ebenso reziprok, inwiefern sozialwissenschaftliche Expertise auch durch Nähe zu den Gewerkschaften geprägt war. So kann die Interaktion von wissenschaftlicher Wissensproduktion, gewerkschaftlichem Handeln und damit verbundener Ausbildung temporaler Strukturen und Zeitdeutungen konturiert werden. Die Kooperation mit dem Parallelprojekt gewinnt auch dadurch an Gewicht, weil die strategischen Beratungen der Gewerkschaften für die Interviewprojekte wichtige Bezugspunkte bildeten.

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