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Systemrelevant 243 Der Koalitionsvertrag und die Mitbestimmung Podcasts

: Koalitionsvertrag: Mitbestimmung auf der Strecke geblieben

Statt Beschäftigten echte Mitsprache zu sichern, nutzen immer mehr Unternehmen Lücken, um Mitbestimmung zu umgehen. Warum der Koalitionsvertrag daran kaum etwas ändert und was jetzt zu tun ist, erklärt Daniel Hay.

[20.05.2025]

Wer bestimmt eigentlich mit, wenn es um die Zukunft eines Unternehmens geht? In Deutschland regelt seit 1976 das Mitbestimmungsgesetz, dass Beschäftigte über den Aufsichtsrat mitreden dürfen. Doch viele Firmen umgehen dieses Recht — etwa durch den Wechsel zur Europäischen Aktiengesellschaft (SE), die Mitbestimmungspflichten lockert. Das sei inzwischen „Volkssport“, so Daniel Hay Direktor des Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) im Gespräch mit Marco Herack.

Koalitionsvertrag ohne Mitbestimmung: Schon im Koalitionsvertrag 2021 hatten die Regierungsparteien versprochen, das sogenannte „Einfrieren“ der Mitbestimmung bei der Umwandlung in eine SE zu beenden. Doch passiert ist nichts. Der aktuelle Koalitionsvertrag, geht sogar noch einen Schritt zurück. Daniel Hay kritisiert, dass der Koalitionsvertrag zum Thema unternehmerische Mitbestimmung nichts beinhalte.

Der Trend, Mitbestimmungsrechte zu umgehen, nehme zu – Fälle wie Olympus und Brose zeigen das deutlich, so der I.M.U.-Direktor und sagt: „Deshalb werden wir uns genauso und völlig uneingeschränkt und auch völlig unbeeinflusst davon weiter dafür einsetzen, die Mitbestimmungsflucht einzudämmen.“ Und fordert weiter: „Der Gesetzgeber ist hier gefragt und gefordert, diese Problematik zu beheben. Diese Lücken, diese Mitbestimmungsfluchtmöglichkeiten zu schließen.“

Doppelstimmrecht im Aufsichtsrat: Veraltet und reformbedürftig?
Im paritätisch besetzten Aufsichtsrat hat der Vorsitz bei Patt-Situationen ein Doppelstimmrecht. Dieses seit 1976 geltende Recht ermöglicht es, bei Gleichstand doppelt abzustimmen und Entscheidungen zu lenken. Arbeitnehmervertreter*innen kritisieren die Regelung als überholt und demokratieschwächend. Zudem werde die Mitbestimmung durch ausländische Rechtsformen umgangen, wenn Unternehmen in Deutschland operieren, aber im Ausland registriert sind. Wenn Mitbestimmung immer weiter wegbricht, helfen auch geänderte Regeln beim Doppelstimmrecht nichts, führt Hay weiter aus.

Mehr Bürokratieabbau – aber nicht auf Kosten der Nachhaltigkeit: Ein weiteres Thema, das Daniel Hay mit Moderator Marco Herack diskutiert, ist der geplante Abbau von Bürokratie. Hay begrüßt es grundsätzlich, unnötige Vorschriften zu streichen, warnt aber davor, dabei wichtige Regelungen wie die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung zu opfern. Diese Berichterstattung soll Unternehmen zu nachhaltigerem Handeln bewegen. Sie ist kein bürokratischer Selbstzweck, sondern ein Instrument, um Wirtschaft sozialer und ökologischer auszurichten, so Hay. Mehr dazu im weiteren Verlauf der Folge.

Fazit: Während das politische Bekenntnis zur „Weiterentwicklung der Mitbestimmung“ im Koalitionsvertrag vage bleibt, steigt der Handlungsdruck angesichts zunehmender Umgehungspraktiken und regulatorischer Lücken. Für den I.M.U.-Direktor ist klar: „Wir machen weiter, wir klären weiter auf, wir halten auch die Fahne der Mitbestimmung weiter hoch. Wir brauchen aber dafür den Gesetzgeber, wir brauchen ihn einfach und wir brauchen die CDU und CSU. Auch dort gibt es viele, die den Wert der Mitbestimmung für unsere soziale Marktwirtschaft anerkennen und schätzen.“

[Moderation: Marco Herack]

Alle Informationen zum Podcast

In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.

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