Projektbeschreibung
Kontext
Die von 2014 bis 2016 durchgeführte HBS-Studie „Kollektives Beschäftigtenhandeln in der Altenpflege“ ermöglichte eine umfassende empirische Analyse von Beschäftigteninteressen in der Altenpflege. Gefragt wurde nach Einstellungen zu kollektivem Handeln auf der (über-)betrieblichen Ebene. Ein zentrales Ergebnis war, dass die Mehrzahl der Pflegekräfte die primäre Verantwortung für die Verbesserungen in der Pflege beim Staat sieht. Seitdem ist die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für die Altenpflege gewachsen. Zur Disposition steht aber, ob die Bedingungen für die Pflegekräfte, sich selbst zu organisieren und eine authentische Form der Selbstartikulation zu betreiben, verbessert worden sind. Fünf Jahre nach der letzten Erhebung zielt die neue Studie darauf, mit einem partiell veränderten Untersuchungsfokus (Dis-)Kontinuitäten in Einstellungen und Handlungen sowie Aktivierungspotentiale von Pflegekräften aufzuzeigen und die differenzierte Interessenlage auf Arbeitgeberseite zu untersuchen.
Fragestellung
Mit der Etablierung einer neuen, generalistischen Berufsausbildung, der Konzertierten Aktion Pflege, den Bestrebungen einer Aufwertung des Pflegeberufes und der Gründung eines neuen Arbeitgeberverbandes (BVAP) hat sich die Akteurskonstellation in der Pflege gewandelt. Die Bedeutung der fragmentierten Arbeitgeber-Landschaft, ihre unterschiedlichen Interessen an belastbaren Arbeitsbeziehungen und ihre Rolle in der Konfliktpartnerschaft ist kaum erforscht. Auf der Arbeitnehmerseite ist zu untersuchen, welche Möglichkeiten Pflegekräfte haben, eine effektive Selbstorganisation ihrer Interessen zu etablieren. Ergänzend ist zu fragen, wie Pflegekräfte durch kollektive Akteure zur Mitbestimmung aktiviert werden können. Daher lautet die forschungsleitende Frage:
Inwieweit können die Pflegekräfte die in den letzten fünf Jahren strukturell verbesserten Rahmenbedingungen nutzen, um sich eigenständig zu organisieren und eine authentische Form der Selbstartikulation zu betreiben?
Untersuchungsmethoden
Anknüpfend an das Forschungsdesign der Vorläuferstudie basiert die Follow-up-Studie auf einer Triangulation aus qualitativen und quantitativen Methoden. Mittels Fragebogenerhebung werden Einstellungen der Pflegekräfte und damit die Potentiale und Hindernisse für ihr kollektives Handeln erforscht. Ein externer Partner realisiert diese repräsentative, circa halbstündige persönlich-mündliche oder telefonische Befragung von ca. 800 in der Altenpflege Erwerbstätigen.
Die qualitativen Befragungen bestehen aus Experten- und Betroffeneninterviews. Erstere werden mit Gewerkschaftern, Berufsverbandsvertretern, unterschiedlichen Leistungserbringern und mit Arbeitgebern auf verschiedenen Ebenen geführt. Diese ermöglichen eine Rekonstruktion der Akteurskonstellation. Die Betroffeneninterviews ergänzen die quantitativen Ergebnisse durch ein tieferes Verstehen der Motive und Deutungen der Pflegekräfte. Die Auswertung der Interviews erfolgte in Form einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring.
Darstellung der Ergebnisse
Unsere Forschung zeigt eine positive Entwicklung in der Altenpflege: So deuten die Daten auf eine steigende Selbstwirksamkeit und -organisation der Pflegekräfte hin, wenngleich Unterschiede, bspw. aufgrund der Qualifikation, weiterhin bestehen. Erfreulich ist auch die zunehmende Mitarbeiterbeteiligung in Betriebsräten. Gleichzeitig ist der Anteil gewerkschaftlich organisierter Betriebsratsmitglieder seit der ersten Studie stark gestiegen. Bei den Pflegekräften lässt sich zwar keine wachsende Gewerkschaftsnähe feststellen; doch Interviews mit Gewerkschaften verweisen auf erfolgreiche innovative Strategien der Mitgliedergewinnung, die insbesondere jüngere Pflegekräfte ansprechen. Unsere Analyse bestätigt schließlich das Bild einer strukturell heterogenen Arbeitgeberseite. Gleichzeitig unterstreicht sie die Kooperationsbereitschaft der Arbeitgeber unter der gegebenen Marktordnung. Zusammengefasst zeigt unsere Studie, dass die jüngsten staatlichen Eingriffe eine positive Dynamik in Gang gebracht haben, die bereits zu spürbaren, wenn auch graduellen Veränderungen geführt hat. Diese Veränderungen könnten den Beginn robusterer Arbeitsbeziehungen in der Altenpflege signalisieren.