Projektbeschreibung
Kontext
Unter dem Leitbild der vernetzten Klinik wird in Deutschland die möglichst vollständig Integration administrativer und klinischer Softwaresysteme in ein umfassendes KIS verfolgt, welches Patient*innen-, Beschäftigten- und Ressourcendaten zusammenführt und sie für Prozessoptimierungen nutzbar macht. Als Paradebeispiele gelten einzelne (fast) vollständig digitalisierte Kliniken. Gerade für den Arbeitsprozess des Pflegepersonals legen KIS-Elemente zu Pflegedokumentation, datenbasierter Entscheidungsunterstützung, geschlossenem Medikationskreislauf, Assistenzsystemen und Personaleinsatzplanungssoftware deutlichen Transformationsdruck nahe. Die Versprechen der vernetzten Klinik sind effizientere Abläufe und eine Entlastung der Beschäftigten. Erste Sondierungen zeigen, dass (interaktive) Tätigkeiten formalisiert, digitalisiert sowie teilautomatisiert werden und datenbasierte Leistungskontrolle zunimmt: Ein potentiell spannungsreiches arbeitspolitisches Konfliktfeld.
Fragestellung
Um dieses Konfliktfeld zu erschließen, widmete sich das Forschungsvorhaben Kliniken, die als führend bei der Etablierung von umfassenden, integrierten Softwaresystemen gelten können. Untersucht wurden Prozesse, die zukünftig für weitere Beschäftigte und deren Vertretungen in deutschen Kliniken relevant werden.
Das Projekt fragte erstens: Wie verändert sich der Arbeitsprozess in der akutstationären Pflege durch die Etablierung von umfassenden, datenintensiven Softwaresystemen?
Es widmete sich zweitens der Frage: Wie können Akteur*innen der betrieblichen Mitbestimmung diese datenintensiven Prozesse erfolgreich mitgestalten?
Untersuchungsmethoden
Das Projekt erhob qualitative Daten in Intensivfallstudien in vier vernetzten Kliniken. Zudem wertete es Daten des repräsentativen Sekundärdatensatzes Sozio-oekonomisches Panel (SOEP, v37) aus.
Im qualitativen Modul wurden teilnehmende Beobachtung und teilnarrative Interviews kombiniert. So konnten die Arbeitssituation, sowie Deutungsmuster mit der qualitativen Inhaltsanalyse analysiert werden. Die Betriebsfälle wurden entlang ihrer Trägerschaften kontrastiert, da diese unterschiedliche Mitbestimmungsmöglichkeiten implizieren.
Im quantitativen Modul wurde der Zusammenhang zwischen dem digitalen Reifegrad des pflegerischen Arbeitsplatzes und der Handlungsautonomie von Pfleger*innen in Krankenhäusern, sowie ihrer Arbeitsintensität in Deutschland untersucht.
Darstellung der Ergebnisse
Der Status quo betrieblicher Kontrolle veränderte sich durch den Einsatz datenintensiver Softwaresysteme kaum. Die Pflegekräfte waren aufgrund ihres beruflichen Selbstverständnisses intrinsisch zur optimalen Versorgung von Patient*innen motiviert. Eine stärkere direkte Kontrolle hätte mit den Handlungsspielräumen der Pflegekräfte konfligiert und somit gedroht, den Fachkräftemangel durch unzufriedene Pflegekräfte zu verschärfen. Schließlich befanden sich auch die Vorreiterkliniken noch inmitten ihrer digitalen Transformation, wobei Medienbrüche neue Visionen von Kontrolle erschwerten.
Die in den Krankenhäusern gelebte und bisweilen durch Rahmenvereinbarungen institutionalisierte Kontrollaversion schaffte neue Handlungsspielräume für die Mitbestimmung. Ihr Einsatz für eine die Pflege entlastende Digitalisierung gelang insbesondere dort, wo Beschäftigtenvertretungen kooperativ, aber nicht konfliktscheu mit dem Krankenhausmanagement und der IT-Abteilung zusammenarbeiteten und frühzeitig in die Planung und Auswahl von Softwareanbietern sowie die Pilotierung von Softwareanwendungen einbezogen wurden.